Bensheim | 27. Mai 2024 Wie kann sich Bensheim bei der Energieversorgung zukunftssicher und unabhängiger aufstellen? Welchen Beitrag soll und welchen Beitrag kann die größte Stadt im Kreis zur Energiewende leisten? Immerhin hat sich Deutschland zum Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu sein.
Im Rathaus befassen sich das Team Klimaschutz, Umwelt und Energie mit dem städtischen Energiebeauftragten Steffen Giegerich sowie Erste Stadträtin und Umweltdezernentin Nicole Rauber-Jung schon seit Längerem mit den Auswirkungen, Optionen und Chancen der Energiewende auf lokaler Ebene.
Beim Energiedialog am Samstag, 22. Juni, wird der Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Verwaltung und Fachleuten intensiviert. Von 14 bis 17.30 Uhr (Einlass 13 Uhr) wird es im Bensheimer Bürgerhaus ein umfangreiches Programm mit Vorträgen und Info-Ständen geben. Für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich auf der Webseite der Stadt Bensheim. Dort finden sich auch alle weiteren Informationen zur Veranstaltung und den Referenten.
Moderiert wird der Energiedialog von TV-Moderator Thomas Ranft. Im Interview spricht der Wissenschaftsjournalist unter anderem darüber, warum die Menschen beim Thema Klimawandel aufgerüttelt werden müssen – und ob man von Bensheim aus überhaupt die Welt retten kann.
Herr Ranft, Sie sprechen in Ihren Vorträgen davon, dass wir uns mitten im sechsten Massensterben der Erdgeschichte befinden – und vergleichen den Klimawandel mit dem Einschlag des Yucatan-Kometen vor 66 Millionen Jahren. Müssen wir Menschen so drastisch aufgerüttelt werden?
Thomas Ranft: Leider schon. Praktisch niemand von uns spürt am eigenen Leib, wie ernst die Lage ist. Ich wache morgens auf, die Sonne scheint, der Kaffee schmeckt, da ist es völlig natürlich, dass unser Bewusstsein meldet: Ist nicht so schlimm. Das ist sie aber, allerdings ist die Lage keinesfalls hoffnungslos! Ich will ja niemanden erschrecken, weil ich glaube, dass die Welt untergeht. Sondern damit wir ins Handeln kommen, um mit möglichst wenig Schaden in die Zukunft zu kommen.
Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, also praktisch gar kein klimaschädliches Gas mehr produzieren. Ist diese Zielvorgabe aus Ihrer Sicht realistisch?
Ranft: Was sind gute Ziele? Die, die ambitioniert, aber erreichbar sind. Und eine zumindest rechnerische Neutralität bis 2045 können wir auf jeden Fall schaffen, ich sage sogar: Nur, wenn wir sie bis 2045 schaffen, haben wir eine Chance, unseren Wohlstand und ein angenehmes Leben auch in Zukunft zu sichern. Warum? Nicht nur, weil sich die Umweltbedingungen ändern, sondern insbesondere, weil diese Transformation bereits weltweit Fahrt aufnimmt und die Wertschöpfungen, die Geschäftsmodelle, die Patente, die Fähigkeiten, die den Erfolg für die Zukunft sichern, entscheidend sein werden. Und in vielen Ländern ist man bei diesem Wettlauf um den Erfolg der Zukunft weiter als wir. Und ich persönlich würde mich ungern abhängen lassen. Wir wollen als Land ganz sicher keinen „Nokia-Moment“ erleben.
Lässt sich von einer Stadt wie Bensheim aus überhaupt die Welt retten – beziehungsweise wie sollte ein lokaler Beitrag zur Energiewende aussehen?
Ranft: Natürlich kann man in Bensheim die Welt retten, denn niemand von uns muss die ganze Welt retten. Es geht darum, dass wir unsere Welt „retten“. Dass wir in unserem Umfeld die richtigen Entscheidungen treffen und letztlich jeder Bürger sich „anstrengt“. Denn erstens wird einem das niemand abnehmen, kein Staat, kein Minister, und zweitens müssen wir keine Angst haben. Wir sind nicht allein. Es gibt weltweit unzählige Bensheims, in denen es den Bürgern nicht egal ist, wie ihre Zukunft aussieht. Auch wenn man es von der Bergstraße aus nicht sieht: Die meisten Menschen auf der Erde bewegt gerade das gleiche!
Über die Energiewende wird viel geredet und noch mehr diskutiert, vor allem wenn es um Windkraftanlagen und Wärmepumpen geht. Wie lässt sich die Akzeptanz in der Bevölkerung für erneuerbare Energien erhöhen?
Ranft:Bevor der Prozess beginnt, fordert man Menschen auf, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren. Wenn das Windrad kommt: Wie hätte ich es gerne und was hätte ich davon gerne? Es geht um ein gemeinschaftliches Formulieren positiver Ziele, was kein Schönreden sein soll. Probleme dürfen auch nicht ausgeblendet werden. Aber wir machen häufig zwei Fehler: Bürger werden zu spät eingebunden, und dann wird immer über Probleme definiert, selten über Chancen. Warum gibt es immer nur eine Einspruchsfrist? Da kann ja nur Negatives bei rauskommen.
Sie beschäftigten sich seit Jahrzehnten mit Wetter und Klima. Hatten Sie einen persönlichen Schlüsselmoment, der Ihnen den Klimawandel besonders deutlich vor Augen führte?
Ranft: Das würde den Rahmen sprengen – nein, im Ernst, inzwischen gibt es so viele Ereignisse, die ohne Klimawandel nachweislich so nicht stattfinden könnten, da drängt sich mir nicht das eine Ereignis auf.
Zur Person:
Thomas Ranft (57) lebt mit seiner Familie in der Wetterau in Hessen. Er interessierte sich früh für wissenschaftliche Themen und bereits nach dem Abitur begann er seinen Werdegang als Moderator beim Hörfunk. Gute zehn Jahre später gelangte er zum Hessischen Rundfunk. Seit 1997 sieht man den Wissenschaftsjournalisten in zahlreichen Sendungen, vorwiegend in den Themenbereichen Wissen, Wetter und Klima, ob im Ersten im Morgenmagazin, im Wetter vor Acht, bei den Tagesthemen oder in der Tagesschau.
Allein im HR-Fernsehen hat er seit 2001 rund 4.000 Ausgaben des Magazins „alle wetter“ rund um Wetter, Klimawandel und Nachhaltigkeit moderiert. Bereits 2008 wurde er dafür mit dem Preis für die beste Wettermoderation im deutschsprachigen Raum geehrt.
Thomas Ranft ist nicht nur Klimabotschafter des BUND, sondern auch Botschafter der Bärenherz Stiftung für schwerstkranke Kinder sowie Vorstandsmitglied der Hessenstiftung „Familie hat Zukunft“.